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Bewegungsübungen, meditative
Ruhephasen, Massage, Musik, Spannungsausgleich und innere
Balance gehören zu den essen-tiellen Elementen von Behandlung
und Heilung. In der modernen Krankenversorgung werden diese
Heilmittel vernachlässigt und an den Rand gedrängt.
Um diesem Trend entgegen zu wirken haben wir vor 20 Jahren
„Leib oder Leben“ gegründet. Wir wollten
neue Möglichkeiten von Leib- und Körperlichkeit
in der Aus- und Weiterbildung fördern. Dazu haben wir
LehrerInnen aus leib- und körperbezogenen Therapiemethoden
sowie „verwandten“ Übungswegen der Bewegungsschulung,
Tanz, Theater, Pantomime, Musik, meditativen Traditionen der
Achtsamkeit und Kampfkünste eingeladen.
In einem früheren Editorial schrieb R. Danzinger, Mitbegründer
von „Leib oder Leben“: „Wir kennen auch
eine Sprache der Bewegung, der Gebärden, Mienen und vegetativen
Reaktionen - eine Sprache, die man in allen sozialen Schichten
und allen Ländern dieser Erde versteht. Deutlich lesbar
sind ihre Spuren in unsere Körper hingeschrieben.“
Im Hinblick auf Möglichkeiten des analytischen Verstehens
hatte S. Freud angemerkt: „Wer Augen hat zu sehen und
Ohren zu hören, überzeugt sich, dass die Sterblichen
keine Geheimnisse verbergen können. Wessen Lippen schweigen,
der schwätzt mit den Fingerspitzen; aus allen Poren dringt
ihm der Verrat. Darum ist die Aufgabe, das verborgenste Seelische
bewusst zu machen, sehr wohl lösbar“.
„Alle Zuneigung hat ihren Ursprung in der Wahrnehmung“
(D. Heller-Roazen). In den Workshops von „Leib oder
Leben“ können Sie am eigenen Leibe Zusammenhängen
von Bewegung, Berührung, Gefühlen und Gedanken nachspüren.
Sie erleben Verbindungen von Stimmungen, Gefühlen und
psychisch/seelischen Befindlichkeiten, von Wahrnehmungen und
Empfindungen, von gestischen und mimischen Ausdrucksbewegungen
mit inneren Bildern, Vorstellungen und Erwartungen. Diese
Erfahrungen helfen Ihnen im zwischenleiblichen Dialog der
Therapie eine „leibnahe Sprache“ zu finden.
Wie kann sich aus anfänglichen „Gegnern“
(therapeutische Be-gegnung) in der Therapie ein erfolgreiches
„Team“ (therapeutische Be-ziehung) entwickeln?
„Die angeblichen ,kürzeren Wege‘ haben die
Menschheit immer in große Gefahr gebracht; sie verlässt
immer bei der frohen Botschaft, dass ein solcher kürzerer
Weg gefunden sei, ihren Weg – und verliert den Weg.“
(F.Nietzsche). Therapie ist eine „Aufmerksamkeits-kunst“
(B.Waldenfels), welche längere „Zeit-Räume“
umspannt. In ihrem Verlauf berührt und bewegt uns Vieles
ungefragt, kommt zu Ohren, klingt fremd, ruft innere Bilder
hervor, stößt auf, bedrückt, anderes lässt
uns auch aufatmen und setzt neue Energien frei. Weitgehend
unbewusst sind wir in dynamische Prozesse von Nachahmung,
Spiegelung und Resonanzen, von Übertragungen und Gegenübertragungen
einbezogen. Wie können wir unsere Wahrnehmung, unser
Einfühlungsvermögen, unser Gespür für
das, was aktuell geschieht, was passt und angemessen scheint,
üben und verfeinern? Können wir einen besseren „Riecher“
oder Instinkt für versteckte Probleme oder machbare Lösungen
entwickeln?
„Ruhe im Physischen (Gelassenheit)ist ein Pendent zu
Vertrauen im Psychischen“ (E. Gindler). Wie können
wir üben, aufmerksam zu sein, ohne falschen Drang zur
vorschnellen Bewertung, wach sein, da sein, für das,
was sich in uns selbst und vor unseren Augen abspielt? …
Mut und Vertrauen finden in Bewegungen unseres Leibes, die
sich selbst regulieren und erhalten wollen … uns mit
uns selbst anfreunden, still sein, gelassen dem Fluss unserer
Gedanken und Empfindungen beiwohnen, dem Wechselbad der Gefühle
und deren Veränderungen Be-achtung schenken?
„Psychotherapie ist auch eine Übung in Selbst-Erforschung“
(I. Yalom). Einseitiges Denken und Vergeistigung bergen die
Gefahr in sich, dass wir ins Grübeln geraten, den Boden
unter unseren Füßen verlieren, keine Wurzeln haben,
nur noch spärlich in Kontakt mit dem Leben sind, losgelöst
verdorren oder abheben. Wie können wir wieder die Erde
als tragenden Grund spüren, besser auf dem Boden der
Tatsachen stehen, flexiblen Halt finden, freier atmen, aufrecht
gehen? Wie kommen innere Trägheit und Schwere erneut
in Bewegung und in Schwingung? Erlauben wir uns zu spüren,
was sich lösen will, was uns belebt, Lebensfreude spendet,
uns wieder tanzen, singen und lachen macht.
„Nur wer sich ändert, bleibt sich treu.“
(W.Biermann). In den letzten 20 Jahren haben sich viele während
des Gleichenberger Frühjahrsseminars an (vergessene)
Qualitäten ihres leiblichen Selbstgefühls erinnert.
Für sie war das Seminar eine nachhaltige „Investition“
in ihre Lebens- und ihre Arbeitsqualitäten. Sie haben
neue Möglichkeiten gefunden, um tragfähige Wege
für Veränderungen zu entwickeln. Viele Psychotherapieschulen
haben in den letzten Jahren Kongresse und Weiterbildungen
zum Thema „Körper in der Therapie“ angeboten.
Gesellschaftlich hat sich ein breiteres Bewusstsein für
die Möglichkeiten von leib- und körperbezogenem
Methoden entwickelt. „Leib oder Leben“ hat wichtige
Pionierarbeit geleistet und sich einen besonderen Ruf erarbeitet.
Es bleibt aber weiterhin ein Experiment, das neue Herausforderungen
annehmen und suchen muss.
Helmut Milz
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